Die Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea/SE) ist aus vielerlei Gründen ein beliebter Baustein bei der Umstrukturierung von Unternehmensgruppen – von börsennotierten bis hin zu Familienunternehmen. Ein gewichtiger Aspekt bei der Wahl der SE ist die unternehmerische Mitbestimmung. In einer bemerkenswerten Entscheidung vom 16. Mai 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Mitbestimmungsfreiheit der SE als Holding-Gesellschaft bestätigt. Wir beleuchten die Folgen für die Praxis und sich daraus ergebende Gestaltungsoptionen.

Die Societas Europaea (SE) ist im Kern nichts anderes als eine Aktiengesellschaft und folgt konsequenterweise im Wesentlichen aktienrechtlichen Regeln. In drei Punkten unterscheidet sie sich aber von der deutschen AG – und eben diese drei Aspekte geben häufig den Ausschlag für die Wahl der SE:

(1) Die Governance der SE kann entsprechend derjenigen einer AG ausgestaltet sein, also dem Dualismus aus Aufsichtsrat (Aufsichtsorgan) und weisungsunabhängigem Vorstand (Leitungsorgan) folgen.
Als Alternative zum dualistischen System kann das aus dem anglo-amerikanischen Raum bekannte Board-Modell gewählt werden: Es existiert dabei lediglich ein Verwaltungsrat, weshalb es auch als monistisches System bezeichnet wird. 

(2) Zur Geschäftsführung bestellt der Verwaltungsrat geschäftsführende Direktoren, die dem Verwaltungsrat angehören können, aber nicht müssen. Die geschäftsführenden Direktoren sind gegenüber dem Verwaltungsrat – anders als ein AG-Vorstand – weisungsgebunden. Eben diese Weisungsgebundenheit ist insbesondere in Familienunternehmen mit Fremdgeschäftsführung ein zentraler Aspekt für die Wahl des monistischen Systems.

(3) Die SE folgt nicht der Logik des insbesondere für Aktiengesellschaften und GmbHs geltenden deutschen Mitbestimmungsrechts. Nach den einschlägigen Mitbestimmungsgesetzen müssen AGs und GmbHs mit 500 oder mehr Arbeitnehmern einen Aufsichtsrat haben, in dem ein Drittel der Mitglieder Arbeitnehmervertreter sind. Bei 2.000 oder mehr Arbeitnehmern hat der Aufsichtsrat zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern zu bestehen, wobei ein Teil derselben zu wählen, ein Teil von Gewerkschaften vorzuschlagen ist. In Unternehmensgruppen werden die auf mehrere Gesellschaften verteilten Arbeitnehmer nach bestimmten Regeln zusammengezählt, in GmbH & Co. KGs gegebenenfalls die Arbeitnehmer der KG als solche der Komplementär-GmbH behandelt. Aus diesem Grund verwirklicht sich die unternehmerische Mitbestimmung typischerweise an der Konzernspitze, auch wenn diese eine Holding-Gesellschaft mit keinen oder sehr wenigen Arbeitnehmern ist. In der SE ist alles anders: Geht sie aus einer bestehenden Gesellschaft oder mehreren bestehenden Gesellschaften hervor, muss mit den vorhandenen Arbeitnehmern über das Maß der Mitbestimmung verhandelt werden. Kommt keine Einigung zustande, gilt der vorherige Mitbestimmungsstatus („Vorher-Nachher-Prinzip“). So oder so verändert sich der Mitbestimmungsstatus fortan nicht mehr in Abhängigkeit von der Arbeitnehmerzahl. Wird beispielweise eine AG mit weniger als 500 Arbeitnehmern – und damit ohne Mitbestimmung – in eine SE umgewandelt, besteht der Status der fehlenden Mitbestimmung künftig auch dann fort, wenn die Schwellenwerte von 500 (Drittelmitbestimmung) bzw. 2.000 (paritätische Mitbestimmung) überschritten werden. Plakativ wird das als „Einfriereffekt“ bezeichnet, den der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition mit der Ankündigung, ihn beseitigen zu wollen, weithin bekannt gemacht hat. 

Im Hinblick auf die Mitbestimmung in der SE hat der Europäische Gerichtshof nun ein bemerkenswertes Urteil gefällt (vom 16. Mai 2024, Az. C-706/22). Bislang ging man in Deutschland beim Austausch einer AG- oder GmbH-Konzernspitze gegen eine SE von Folgendem aus: Praktisch üblich ist die Verwendung sogenannter Vorrats-SEs. Diese werden gewissermaßen in der Retorte gegründet, haben deshalb anfangs keinerlei Arbeitnehmer und können dementsprechend weder mit Arbeitnehmern über die unternehmerische Mitbestimmung verhandeln noch irgendeine Form unternehmerischer Mitbestimmung anwenden. Aus diesem Grund wurde verbreitet angenommen, dass die Verhandlung über die Mitbestimmung nachzuholen sei, wenn die einstmals arbeitnehmerlose SE an die Spitze einer Unternehmensgruppe gesetzt wird. Dabei seien alle in der Konzerngruppe vorhandenen Arbeitnehmer der SE-Holding zuzurechnen. In Anwendung des Vorher-Nachher-Prinzips würde das Scheitern von Verhandlungen daher zur Drittelmitbestimmung oder paritätischen Mitbestimmung führen, wenn die Unternehmensgruppe mehr als 500 bzw. 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt. Eben diesen Schlussfolgerungen zur Nachholungspflicht hat der EuGH nun eine deutliche Absage erteilt. Grundsätzlich bleibe es dabei, dass die Mitbestimmung in der SE gerade nicht mit der Arbeitnehmerzahl wachse – auch dann nicht, wenn bei Umstrukturierungen mit einem Mal sehr viele Arbeitnehmer aus Beteiligungsunternehmen hinzukommen.

Der Beliebtheit der SE als Umstrukturierungsbaustein wird das gewiss Auftrieb geben. In der Entscheidung des EuGH kam hinzu, dass die Mitbestimmung an der Konzernspitze durch die Verwendung einer SE wegfiel, auf der Ebene darunter durch den Formwechsel der Zwischen-Holding-GmbH in eine Kommanditgesellschaft. Letzterem steht praktisch häufig die damit verbundene fiktive Totalausschüttung offener Rücklagen und die entsprechende Steuerlast der Anteilseigener (§ 9 Satz 1 iVm § 7 UmwStG) entgegen. Abhilfe hat insofern aber das Wachstumschancengesetz geschaffen, da es einen steuerlich nahtlosen Übergang von der Kapitalgesellschaft in die gemäß § 1a KStG zur Körperschaftsteuer optierte Kommanditgesellschaft – d.h. steuerlich in eine Quasi-Kapitalgesellschaft – erlaubt (§ 1a Abs. 1 Satz 7 Nr. 2 KStG). Ein solcher Formwechsel ist ertragsteuerlich neutral möglich.