Genossenschaftsrechtsreform 2017: das ist neu

08.01.2018

Nach mehreren vergeblichen Anläufen ist rechtzeitig vor Ende der letzten Legislaturperiode die Reform des Genossenschaftsrechts durch das Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften vom 17. Juli 2017 verabschiedet worden. Neben den im Gesetzestitel angelegten Bereichen Bürokratieabbau und Transparenzförderung wurde das Genossenschaftsgesetz (GenG) an zahlreichen weiteren Stellen geändert. Hierdurch erlangt die Reform Bedeutung, die weit über die aus dem Titel des Reformgesetzes ersichtlichen Bereiche hinausgeht.

Bürokratieabbau

Der vom Gesetzgeber angestrebte Bürokratieabbau erfolgt vornehmlich durch die erweiterte Zulässigkeit der Nutzung des Internets: So kann künftig die Einladung zur Generalversammlung auch per E-Mail erfolgen. Beim Beitritt zur Genossenschaft ist es ausreichend, wenn die Satzung im Internet abrufbar ist und dem Beitretenden ein Ausdruck der Satzung angeboten wird. Auch der Jahresabschluss, der Lagebericht sowie der Bericht des Aufsichtsrats müssen vor der Generalversammlung nicht mehr zwingend in den Geschäftsräumen der Genossenschaft oder einer sonst geeigneten Stelle ausgelegt werden, sondern können den Mitgliedern auch im Internet zugänglich gemacht. Entsprechende Erleichterungen gibt es auch für außerhalb des GenG geregelte Maßnahmen wie die Verschmelzung von Genossenschaften.

Transparenzförderung

Die Transparenz in Genossenschaften versucht der Gesetzgeber in zahlreichen Einzelmaßnahmen zu fördern. So kann die Satzung nunmehr regeln, mit welchen weiteren Angaben über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus jedes Mitglied in die von der Genossenschaft zu führenden Mitgliederliste eingetragen wird. Neu eingeführt wurde auch die Verpflichtung der Genossenschaften, den für sie zuständigen Prüfungsverband auf ihrer Internetseite oder mangels einer solchen auf ihren Geschäftsbriefen anzugeben. Daneben wird der Prüfungsverband ermächtigt, bei Zweifeln an der Verfolgung eines vom Gesetz vorgegebenen genossenschaftlichen Förderzwecks und dem damit verbundenen Verdacht des Vorliegens eines erlaubnispflichtigen Investmentgeschäfts der BaFin den Prüfungsbericht zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig wird jeder Prüfungsverband verpflichtet, dem Registergericht im Rahmen der jährlichen Einreichung des Verzeichnisses der dem Verband angehörigen Genossenschaften mitzuteilen, wenn bei einer dieser Genossenschaften im letzten Prüfungszeitraum keine Pflichtprüfung durchgeführt wurde.

Corporate Governance

Das Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften bringt auch beachtliche Änderungen bezüglich des Aufbaus der Genossenschaft und des Verhältnisses ihrer Organe zueinander mit sich.

 

Die Binnenorganisation von kleinen Genossenschaften mit weniger als 20 Mitgliedern wurde dahingehend entscheidend geändert, dass der Vorstand nunmehr an Weisungen der Generalversammlung gebunden werden kann. Erforderlich ist aber stets eine entsprechende Satzungsermächtigung. Für eine entsprechende Weisungsmöglichkeit auch in größeren Genossenschaften fand sich hingegen keine politische Mehrheit.

 

Nach wie vor muss die Satzung sicherstellen, dass investierende Mitglieder die  normalen, den Genossenschaftszweck fördernden Mitglieder in keinem Fall überstimmen können, und Beschlüsse der Generalversammlung, für die eine Mehrheit von mindestens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen vorgeschrieben ist, durch investierende Mitglieder nicht verhindert werden können. Hierzu kann die Satzung – anders als bei der Europäischen Genossenschaft (SCE) – das Stimmrecht investierender Mitglieder nicht mehr nur beschränken, sondern auch ganz ausschließen.

 

Nach dem Vorbild des Aktienrechts wurde zudem die Möglichkeit eingeführt, in der Satzung bestimmten Mitgliedern der Genossenschaft ein Recht einzuräumen, Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden. Die  entsandten Personen müssen nach dem Wortlaut der Neuregelung nicht selbst auch Mitglieder der Genossenschaft sein. Jedoch darf die Zahl der entsandten Personen zusammen mit der Zahl der investierenden Mitglieder im Aufsichtsrat ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder nicht überschreiten. Hierdurch soll dem in der Genossenschaft geltenden Grundsatz der Selbstorganschaft Rechnung getragen werden.

 

Im legislativen Trend liegt die ausdrückliche Aufnahme der sog. Business Judgement Rule in das Genossenschaftsgesetz. Dies hat primär klarstellende Funktion, entspricht die Anwendung der Business Judgement Rule doch auch im Genossenschaftsrecht der gelebten Praxis. Ein Vorstandsmitglied einer Genossenschaft handelt künftig dann nicht pflichtwidrig, wenn es bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Genossenschaft zu handeln. Neu ist hingegen die an das Vereinsrecht angelehnt Haftungserleichterung für nicht oder gering vergütete Vorstandsmitglieder. Statt der vereinsrechtlichen Haftungsfreistellung bei einfacher Fahrlässigkeit, muss bei der Beurteilung der Sorgfalt eines Genossenschaftsvorstands jedoch lediglich zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, wenn das Vorstandsmitglied im Wesentlichen unentgeltlich tätig ist.

Finanzierung

Die Geschäftsguthaben der Mitglieder einer Genossenschaft dürfen als wesentlicher Bestandteil des Eigenkapitals während der Mitgliedschaft nicht ausgezahlt werden und können nur innerhalb des Mitgliederkreises übertragen werden. Da die Genossenschaft aufgrund ihres föderativen Charakters gleichzeitig keine oder nur geringe Dividenden auszahlt, haben in der Praxis viele Genossenschaften Schwierigkeiten, ausreichende Einlagen bei ihren Mitglieder einzuwerben und sind  auf Darlehen ihrer Mitglieder angewiesen. Diese mussten in der Vergangenheit aber mit einem sog. qualifizierten Rangrücktritt versehen werden, um das Risiko eines bankerlaubnispflichtigen Einlagengeschäfts auszuschließen. Nunmehr ist es innerhalb gesetzlich vorgegebener Bedingung ausdrücklich zulässig, auch ohne Erlaubnis nach dem Kreditwesengesetz und ohne Nachrangklausel zweckgebundene Darlehen ihrer Mitglieder bis zu einem Gesamtbetrag in Höhe von EUR 2,5 Mio. entgegenzunehmen.

 

Die Mitglieder der Genossenschaft können ihre Mitgliedschaft grundsätzlich nur zum Schluss eines Geschäftsjahres mit einer Frist von drei Monaten kündigen. Die Frist kann in der Satzung grundsätzlich auf  höchstens fünf Jahre verlängert werden. Davon abweichend kann die Kündigungsfrist dann auf bis zu zehn Jahre hinausgeschoben werden, wenn drei Viertel der Mitglieder (bislang alle) Unternehmer im Sinne des § 14 BGB sind. Die verlängerte Kündigungsfrist gilt in diesem Fall jedoch nur für diejenigen Mitglieder, die selbst Unternehmer sind. Durch die verlängerte Mitgliedschaft wird die mit der Beendigung der Mitgliedschaft verbundene Auszahlung der Geschäftsguthaben hinausgeschoben und die Finanzierung der Genossenschaft gestärkt.

Änderungen der Pflichtprüfung

Auch die genossenschaftliche Pflichtprüfung erfährt nicht unerhebliche Änderungen. Im Grundsatz unterscheidet sich diese von der Prüfung von Kapitalgesellschaften und anderen gesetzlichen Prüfungen hinsichtlich Zielsetzung, Gegenstand und Umfang. Die genossenschaftliche Pflichtprüfung bezweckt die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und umfasst die Prüfung der Einrichtungen, der Vermögenslage und der Geschäftsführung der Genossenschaft im Prüfungszeitraum. Hinzu kommt – wie bei anderen Gesellschaftsformen – die stichtagsbezogene Prüfung des Jahresabschlusses, sofern gewisse wirtschaftliche Schwellenwerte überschritten werden. Diese Schwellenwerte werden mit dem Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften angehoben. Künftig ist im Rahmen der Pflichtprüfung der Jahresabschluss unter Einbeziehung der Buchführung und des Lageberichts nur noch dann verpflichtend zu prüfen, wenn die Bilanzsumme der Genossenschaft EUR 1,5 Mio. und deren Umsatzerlöse EUR 3 Mio. übersteigen. Ziel der Anhebung ist die Angleichung der Schwellenwerte an die Größenmerkmale für kleine Kapitalgesellschaften, die nicht zur Jahresabschlussprüfung verpflichtet sind. Diese wurden 2015 durch das BilRUG erheblich angehoben. Die Größenmerkmale für die befreiten kleineren Genossenschaften betragen nunmehr wieder ein Viertel der Größenmerkmale für kleine Kapitalgesellschaften.

 

Zudem hat der Prüfungsverband in seinem Prüfungsbericht künftig dazu Stellung zu nehmen, ob und auf welche Weise die Genossenschaft im Prüfungszeitraum einen zulässigen genossenschaftlichen Förderzweck verfolgt und eingehalten hat. Auch damit wird die Transparenz sowohl gegenüber den Mitgliedern als auch gegenüber der Aufsicht der Genossenschaft gestärkt.