Geplante Gesetzesänderungen für gemeinnützige Organisationen – Gebot der zeitnahen Mittelverwendung vor dem Aus?

25.07.2024 | FGS Blog

Das Bundeskabinett hat gestern den Entwurf eines sogenannten „Steuerfortentwicklungsgesetzes“ verabschiedet. Darin vorgesehen sind drei überaus praxisrelevante Änderungen für gemeinnützige Organisationen. Sie entsprechen weitgehend den Vorschlägen im Referentenentwurf aus dem Bundesfinanzministerium vom 10. Juli. Verbesserungsvorschläge mehrerer Verbände des Dritten Sektors, u.a. des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, sind leider nicht aufgegriffen worden.

Streichung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung

Ersatzlos gestrichen werden soll das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung sowie sämtlicher hieran anknüpfender Bestimmungen, insbesondere zur Bildung von Rücklagen und Vermögen. Es bleibt dabei, dass gemeinnützige Organisationen ihre Mittel grundsätzlich nur für ihre steuerbegünstigten Satzungszwecke verwenden dürfen; entfallen soll (lediglich) die bislang geltende zeitliche Vorgabe, dass die Mittel bis zum Ablauf des zweiten auf das Zuflussjahr folgenden Jahres verwendet werden müssen, soweit sie nicht ausnahmsweise in eine Rücklage eingestellt oder dem Vermögen zugeführt werden. Überholt ist damit das Vorhaben im Regierungsentwurf eines Jahressteuergesetzes 2024 vom 5. Juni, für die Bildung von Projektrücklagen die Beurteilung aus Sicht ex ante festzuschreiben.

Was als Beitrag zum – dringend nötigen – Abbau von Bürokratie gedacht ist, entpuppt sich als undurchdachter Schnellschuss und Herd neuer erheblicher Rechtsunsicherheit. Bei Umsetzung dieses radikalen Kahlschlags bliebe völlig unklar, unter welchen zeitlichen Kriterien der Mittelverwendung künftig eine, so die Entwurfsbegründung, „nachhaltige“ Zweckverfolgung vorliegt. Ebenso völlig unklar bliebe, in welchem Maße gemeinnützige Organisationen künftig Rücklagen und Vermögen bilden dürfen. Die Bundesregierung möchte, so die Entwurfsbegründung, “den Extremfall” einer unzulässigen Mittelansammlung verhindert sehen, lässt die Organisationen aber im Unklaren darüber, wann ein solcher “Extremfall” vorliegen soll.

Die drohende Rechtsunsicherheit wird dadurch verschärft, dass die bislang gesetzlich bestehende Möglichkeit, eine in zeitlicher Hinsicht ungenügende Mittelverwendung durch Erfüllung einer vom Finanzamt gesetzten Verwendungsauflage zu “heilen”, enfallen soll; künftig drohte die sofortige Aberkennung der Gemeinnützigkeit. Das verfassungsrechtlich verankerte Gebot der Verhältnismäßigkeit gibt gemeinnützigen Organisationen nicht die erforderliche Rechtssicherheit. Zu befürchten ist, dass die Vermögensbildung zum Zankapfel in Veranlagungen und Betriebsprüfungen führen wird. Bei diesem Befund wird ehrenamtliches Engagement ganz sicher nicht gefördert. Der Regierungsentwurf ist insbesondere in diesem Punkt stark verbesserungsbedürftig.

Der nun eingeläutete Paradigmenwechsel soll mit Wirkung zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Eine Übergangsregelung sieht der Regierungsentwurf nicht vor. Unklar ist, ob Verwendungsüberhänge oder -rückstände zum 31. Dezember 2024 für die künftige Beurteilung der Gemeinnützigkeit berücksichtigt werden können.

So sehr das Bemühen um Abbau von Bürokratie zu begrüßen ist – der Entwurf setzt an einer ungeeigneten Stelle an. Die Streichung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung könnte zu „Gestaltungsmodellen“ führen, die für das Ansehen gemeinnütziger Organisationen in der Öffentlichkeit nicht zuträglich sind. Zielgerichteter wäre es, die bestehende Bagatellgrenze für den Dispens vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung – bislang EUR 45.000 – zu erhöhen. Flankierend könnte im Gesetz – gegen die m.E. unzutreffende Verwaltungsauffassung – festgeschrieben werden, dass nicht zeitnah zu verwendendes Vermögen bei der Prüfung jener Bagatellgrenze ausgeblendet wird. Zudem könnte im Gesetz für den Fall eines “Sphärenwechsels” ein Verwendungsmoratorium im Gesetz verankert werden – z.B. relevant in dem in der Entwurfsbegründung genannten Beispielsfall, dass eine gemeinnützige Organisation eine mit zeitnah zu verwendenden Mitteln erworbene Immobilie an eine andere gemeinnützige Organisation gegen marktübliches Entgelt vermietet. Es bedarf hinreichend bestimmter Voraussetzungen für die Bildung von Rücklagen und dauerhaft zu erhaltendem Vermögen – idealerweise kombiniert mit einer gemeinnützigkeitsrechtlichen Business Judgement Rule, die ehrenamtliche Organmitglieder zu Entscheidungsfreude motiviert und Haftungsrisiken reduziert.

Politische Betätigung

In einem neuen § 58 Nr. 11 AO soll klargestellt werden, dass gemeinnützige Organisationen außerhalb ihrer Satzungszwecke „gelegentlich“ zu „tagespolitischen Themen“ Stellung nehmen dürfen. Die Äußerungen müssen, so die Entwurfsbegründung, aufgrund eines besonderen Anlasses erfolgen und bei einer Gesamtbetrachtung der steuerbegünstigten Zweckverfolgung untergeordnet sein.

Das in der Entwurfsbegründung gewählte Beispiel eines Sportvereins, der sich gegen Rassismus und Diskriminierung äußert, ist unglücklich gewählt. Diesbezüglich geht es richtigerweise nicht um “tagespolitische Themen”, sondern um universell geltende Werte. Insoweit führt die Entwurfsbegründung zu der m.E. unzutreffenden Einschränkung, dass solche Aufrufe nur bei “aktuellen Vorkommnissen” gestattet sein sollen.

Aus der geplanten Neuregelung ergibt sich m.E. mittelbar die Bestätigung der BFH-Rechtsprechung, wonach sich gemeinnützige Organisationen innerhalb ihrer Satzungszwecke umfassend politisch äußern und betätigen dürfen – so u.a. die „BUND-Entscheidung“ des BFH vom 20. März 2017 (Az. X R 13/15). Dieser Befund sollte im weiteren Gesetzgebungsverfahren zum Ausdruck kommen. Die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung, dass Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen auch im Rahmen der steuerbegünstigten Satzungszwecke nur „gelegentlich“ erlaubt seien (AEAO Nr. 16 Abs. 2 Satz 3 f. zu § 52 AO), widerspricht der BFH-Rechtsprechung. Das Betreiben oder Unterstützen von Parteipolitik ist und bleibt hingegen stets gemeinnützigkeitsschädlich, auch wenn es nur gelegentlich erfolgt.

Photovoltaikanlagen

Die entgeltliche Einspeisung von Strom aus einer selbst betriebenen Photovoltaikanlage soll mit Wirkung ab dem 1. Januar 2025 einen Zweckbetrieb begründen. Etwaige Gewinne wären demnach ertragsteuerfrei, etwaige Verluste gemeinnützigkeitsrechtlich unschädlich. Die Zweckbetriebseigenschaft soll an die installierte Bruttoleistung der Anlage laut Marktstammdatenregister (gemessen in kw (peak)) geknüpft werden. Begünstigt soll nur die Einspeisung aus Anlagen sein, deren Leistungskraft die in § 3 Nr. 72 EStG aufgeführte Bruttoleistung nicht übersteigt. Unter dieser Prämisse soll die Zweckbetriebseigenschaft losgelöst davon gelten, in welchem Umfang die gemeinnützige Betreiberin den erzeugten Strom selbst verwendet.

Sofern das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren doch nicht ersatzlos gestrichen werden sollte, dürfte die Anschaffung einer solchen Anlage mit zeitnah zu verwendenden Mitteln finanziert werden.

Wohngemeinnützigkeit (Jahressteuergesetz 2024)

In einem weiteren Reformgesetz, dem Jahressteuergesetz 2024, soll eine “neue” Wohngemeinnützigkeit als neuer gemeinnütziger Katalogzweck eingeführt werden. Zudem sollen mehrere Bestimmungen im Umsatzsteuergesetz zu den Steuerbefreiungen für Bildungsleistungen geändert werden. Zum Regierungsentwurf vom 5. Juni darf ich auf meinen Blog-Beitrag vom 10. Juni verweisen.

Ausblick

Nach der Verabschiedung beider Regierungsentwürfe durch das Bundeskabinett wird das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingeleitet. Abzuwarten bleibt auch, ob die die Bundesregierung tragenden Ampel-Fraktionen im Deutschen Bundestag die weiteren im Koalitionsvertrag vereinbarten steuerlichen Änderungen im Kontext des Dritten Sektors vornehmen werden (Stichworte: eSport, investigativer Journalismus, grenzüberschreitender Spendenabzug, unentgeltliche Wertabgabe bei Spenden von Lebensmitteln).

Im Auge zu behalten sind auch zwei Initiativen des Freistaats Bayern zur “Entbürokratisierung im Vereinssteuerrecht” (vom 2. Juli) sowie zu vereinsrechtlichen Haftungserleichterungen für ehrenamtliche Vereinstätigkeit (vom 25. Juni).

Aus Sicht der Praxis bleibt zu hoffen, dass “die Politik” ihren Sonntagsreden über Zivilgesellschaft und ehrenamtliches Engagement Taten folgen lässt. Punktuelle Änderungen sind nicht zielführend, die geplante Streichung des Gebots der zeitnahen Mittelverwendung führte zu erheblicher Rechtsunsicherheit und damit mehr Bürokratie. Es bedarf vielmehr eines durchdachten Konzepts für weniger Bürokratie und mehr Rechtssicherheit. “Die Politik” sollte den dringenden Bedürfnissen der Praxis mehr Beachtung schenken als bei der letzten Gemeinnützigkeitsrechtsreform durch das Jahressteuergesetz 2020 – und, wie der Normenkontrollrat explizit empfiehlt, das Fachgespräch mit Wissenschaft, Verbänden und Praxis suchen.