Eine aktuelle Entscheidung des BGH (BGH Urt. v. 9.11.2023 – III ZR 105/22) zeigt die Bedeutung einer gut gestrickten Geschäftsordnung auf, in der die internen Zuständigkeiten der Geschäftsleitung geregelt sind.

In dem Fall investierte ein Anleger in verlustreiche Immobilien-Projektgesellschaften, allesamt Töchter einer AG mit Sitz in der Schweiz. Daraufhin nahm der Anleger den Direktor der AG und Geschäftsführer der Projektgesellschaften direkt auf Schadensersatz auf der Grundlage in Anspruch, die AG habe ohne erforderliche Erlaubnis ein Bankgeschäft im Inland betrieben. Der Direktor will nichts von den Verträgen gewusst haben, die zur Beteiligung des Anlegers geführt haben. Sein Aufgabenbereich sei als Architekt eingeschränkt gewesen. Ob der Direktor für den Vertragsschluss verantwortlich war und ob der Direktor seine Überwachungspflichten verletzt hat, muss noch weiter durch die Vorinstanzen geklärt werden.

Die Entscheidung zeigt aber bereits jetzt eingehend auf, wie eine Geschäftsordnung und die darin geregelten internen Zuständigkeiten der Geschäftsleitung zu einer Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsleitung beitragen können.

Die Entscheidung zeichnet sich weiter durch zwei Besonderheiten aus:

Da in dem Fall ein Anleger Klage erhoben hatte, geht es dementsprechend nicht um einen Fall der Innenhaftung, also das Haftungsverhältnis zwischen Gesellschaft und Geschäftsleitung, sondern um einen Fall der Außenhaftung, das Haftungsverhältnis zwischen Geschäftsleitung und einem Dritten. Daher stellte sich die Frage, wie der BGH mit einem solchen Fall umgeht. Der beklagte Direktor war zudem für eine AG schweizerischen Rechts tätig, sodass der BGH klären musste, inwiefern die Rechtsprechung zur Haftung eines Gesellschaftsorgans auch auf ihn anzuwenden ist.

Grundsätze der Enthaftung durch eine Geschäftsordnung gelten auch für Fälle der Außenhaftung

Der BGH wendet seine Grundsätze zur Enthaftung durch eine Geschäftsordnung, die er bereits für die Innenhaftung von Geschäftsführungs- und Aufsichtsorganen deutscher Gesellschaften (GmbH, AG und SE) entwickelt hat, auch auf einen Fall der Außenhaftung an. Dies ist konsequent. Damit steht fest, dass Geschäftsordnung und Verteilung der Zuständigkeiten auch für eine etwaige Außenhaftung der Geschäftsleitung relevant sind.

Keine Haftung allein aufgrund der objektiven Organstellung

In der Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass die objektive Organstellung allein nicht hinreichend ist, um eine Haftung zu begründen. Vielmehr bedarf es zusätzlich des Verschuldens (§ 276 BGB). Dieses muss auch im Verfahren gesondert festgestellt werden.

Haftungsrechtliche Absicherung durch eine Geschäftsordnung (Regelung der internen Zuständigkeit)

Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung könnten dabei zwar nicht zu einer Aufhebung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Sie können diese aber erheblich beschränken. Mit anderen Worten können Geschäftsleiter auch bei einer Aufgabenteilung ihren jeweiligen Pflichten gesetzmäßig nachkommen.

Dies heißt aber nicht, dass ein Geschäftsleiter gänzlich die Augen vor der Tätigkeit seiner Kolleginnen und Kollegen verschließen kann. Jeden Geschäftsleiter treffen kraft seiner Allzuständigkeit Überwachungspflichten. Wenn ein Geschäftsleiter Anhaltspunkte dafür sieht, dass der zuständige Geschäftsleiter, die der Gesellschaft obliegenden Aufgaben nicht mehr erfüllt, muss er eingreifen. Informationen, die er erhält, muss der unzuständige Geschäftsleiter vor diesem Hintergrund zumindest auf deren Plausibilität „screenen“, um anlassbezogen reagieren zu können. Die Frage, wann Verdachtsmomente vorliegen, die einen Geschäftsleiter zur Reaktion zwingen, kann nur anhand des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden.

Worauf ist zu achten?

Macht ein Geschädigter, wie in der Entscheidung des BGH hier, einen Schadensersatzanspruch direkt gegen die Geschäftsleitung geltend, ist es zunächst einmal Sache des Geschädigten, die Voraussetzungen der für ihn günstigen Anspruchsgrundlage darzulegen und zu beweisen. Der BGH schränkt diesen Grundsatz aber ein, wenn der Geschädigte keine nähere Kenntnis von den maßgeblichen Umständen und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, sprich keine Kenntnisse über die interne Organisation der Geschäftsleitung hat. Dies kommt dem Geschädigten regelmäßig zugute. In diesen Fällen ist es Sache der zuständigen Geschäftsleitung, sich hierzu erst einmal zu äußern (sog. sekundäre Darlegungslast).

Der betroffene Geschäftsleiter kann dann eine schriftlich niedergelegte Geschäftsordnung, in der die internen Zuständigkeiten der Geschäftsleitung geregelt sind, zu seinen Gunsten als entlastenden Beweis vorlegen. Bei der Ausgestaltung der Geschäftsverteilung in der Geschäftsordnung ist daher auf einen klaren Zuschnitt der jeweiligen Zuständigkeiten zu achten, sodass die Geschäftsleiter sich auch wirksam durch eine Geschäftsverteilung entlasten können.

Besondere Bedeutung ist daher den folgenden zwei Punkten beizumessen:

1. Schriftliche Fixierung und regelmäßige Anpassung der Geschäftsordnung/Geschäftsverteilung

Bei der Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Geschäftsleitung ist darauf zu achten, dass diese Bereiche möglichst detailliert beschrieben und abgrenzbar sind, um Unklarheiten über Zuständigkeiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die Zuständigkeiten sollten auch durch ein entsprechendes Schaubild dokumentiert werden. In regelmäßigen zeitlichen Abständen bietet es sich an, die getroffenen inter­nen Zuständigkeiten auf ihre Aktualität hin zu überprüfen und bei Bedarf anzupas­sen. Die Aufgabenzuweisung kann entweder durch Gesellschafterbeschluss erfolgen oder mitunter be­reits im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers geregelt werden.

2. Überwachungspflicht und Dokumentation

Ein Geschäftsleiter sollte stets darauf achten, dass er seiner Überwachungspflicht innerhalb der Geschäftsleitung nachkommt. In kritischen Situationen oder bei Verdachtsmomenten sollte er daher eine entsprechende Dokumentation führen. Für die Fragen, wann ein solcher Fall vorliegt und wie damit umzugehen ist, empfiehlt sich, die „Je-Desto-Formel“ anzuwenden: Je kritischer die Situation, je dringender der Verdacht oder je größer der drohende Schaden, desto eher sollte der Geschäftsleiter dokumentieren und desto umfangreicher sollte die Dokumentation sein.

Anwendungsbereich: Auslandsgesellschaften

Schließlich ist der Entscheidung noch zu entnehmen, dass der BGH seine Rechtsprechung zur Haftung eines Gesellschaftsorgans bedenkenlos auch auf ausländische Gesellschaften anwendet. Sofern ausländische Gesellschaften im Inland umfangreich tätig sind, mag es sich auch für die Geschäftsleitung der ausländischen Gesellschaft anbieten, sich mit den deutschrechtlichen Anforderungen einmal auseinanderzusetzen, um diese ggf. entsprechend widerspiegeln zu können.

Fazit

Die Entscheidung des BGH zeigt die Bedeutung der Geschäftsordnung für die Geschäftsleitung erneut auf. Denn der BGH wendet darin seine Grundsätze zur Enthaftung durch eine Geschäftsordnung auch auf das Haftungsverhältnis zwischen Geschäftsleitung und einem Dritten (Außenhaftung) an. Zudem wendet der BGH seine Rechtsprechung zur Organhaftung vorbehaltlos auf ausländische Gesellschaften an. Für Geschäftsleiter ist es daher wichtiger denn je, sich mit einer schriftlich niedergelegten Geschäftsordnung und der darin geregelten Geschäftsverteilung auseinanderzusetzen, um sich im Fall der Fälle wirksam enthaften zu können.

Bei der Frage, wie umfangreich die Überwachungspflicht innerhalb der Geschäftsleitung sein sollte, bietet die „Je-Desto-Formel“ Orientierung: Je kritischer die Situation, je dringender der Verdacht oder je größer der drohende Schaden, desto eher sollte der Geschäftsleiter dokumentieren und desto umfangreicher sollte die Dokumentation sein.

Die Geschäftsordnung ist dabei ein „dynamisches Dokument“, d.h. sie sollte kontinuierlich den tatsächlichen Verhältnissen in der Geschäftsleitung und dem aktuellen Stand der Rechtsprechung entsprechen. Es bietet sich daher an, die Geschäftsordnung regelmäßig einer Kontrolle zu unterziehen. Dies sollte insbesondere dann der Fall sein, wenn ein neues Mitglied in die Geschäftsleitung aufgenommen wird und die Aufgaben innerhalb der Geschäftsleitung modifiziert werden.