Immer öfter werden Unternehmen zu Bußgeldern wegen Kartellverstößen verpflichtet. Dementsprechend sind die Unternehmen bestrebt, die Bußgeldentscheidungen anzufechten, wie etwa unlängst Scania mit ihrem letztlich erfolglosen Rechtsmittel gegen Geldbußen i.H.v. 880,5 Mio. Euro der EU-Kommission (EuGH, Urteil v. 1.2.2024 − C-251/22 P – Scania Lkw-Kartell). Ist die Anfechtung der Bußgeldentscheidung nicht erfolgreich, stellt sich die Frage, ob sich das Unternehmen bei ihrem Leitungsorgan, also dem Geschäftsführer oder Vorstand, schadlos halten kann.

Haftung der Leitungsorgane für Kartellbußgelder – Status quo

Weitgehend unstreitig ist, dass das vom Bußgeld betroffene Unternehmen auf das Leitungsorgan rückgreifen kann, wenn es selbst gemäß § 33a GWB von demjenigen, der durch den Kartellrechtsverstoß geschädigt wurde (etwa dem Abnehmer), unmittelbar in Anspruch genommen wird (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.7.2023 − VI-6 U 1/22 (Kart) – Edelstahlkartell).

Noch nicht höchstrichterlich entschieden und in Rechtsprechung und Literatur seit langem und sehr kontrovers diskutiert ist dagegen die Frage, ob die Gesellschaft auch dann Schadensersatz für eine Kartellgeldbuße beim Geschäftsführer bzw. Vorstand verlangen kann, weil dieser als Leitungsorgan für den Kartellrechtsverstoß verantwortlich ist.

Gebietet der Sanktionszweck der Kartellbuße die Ablehnung der Haftung?

Die Stimmen, die eine Haftung des Vorstands/der Geschäftsführung für Kartellgeldbußen ablehnen, berufen sich darauf, dass ein Rückgriff auf die Geschäftsleiter den Sanktionszweck unterlaufen würde (so etwa OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.7.2023 − VI-6 U 1/22 (Kart) – Edelstahlkartell). Könnte die Unternehmensgeldbuße an das Leitungsorgan und seine D&O-Versicherung weitergereicht werden, so würden ja gerade nicht die unrechtmäßigen, durch Kartellverstöße erzielten Vorteile bekämpft. Außerdem zeige die Tatsache, dass unterschiedliche Bußgeldhöhen gem. § 81c GWG für Unternehmen und Leitungsorgane vorgesehen sind, dass das Leitungsorgan nur sein eigenes Bußgeld und nicht auch noch das Unternehmensbußgeld zu tragen habe (LAG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14 – Schienenkartell).

Haftung zur Abschreckung der Leitungsorgane?

Gewichtige Stimmen in Rechtsprechung und Literatur bejahen dagegen die volle Organhaftung für Unternehmensgeldbußen (Nachweise bei OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.7.2023 − VI-6 U 1/22 (Kart) – Edelstahlkartell). Dafür spreche der Gesetzeswortlaut des § 43 GmbHG und § 93 AktG. Eine gesetzliche Ausnahme von der Haftung bestehe nicht. Eine fehlende Haftung würde die Geschäftsleitung zu kartellrechtswidrigen Praktiken verleiten. Eine Abschreckung der Gesellschaft könne wirksam nur durch Konsequenzen für die Verantwortlichen selbst funktionieren. Außerdem werde die Gesellschaft dadurch belastet, dass sie zunächst die Adressatin des Bußgeldes sei und das Risiko trage, nur einen Teil auf ihre Organe abwälzen zu können. Schließlich kennt das europäische Recht nur Unternehmensgeldbußen (Art. 23 VO (EG) 1/2003), und bei Eingreifen des europäischen Kartellrechts würde das Leitungsorgan sanktionslos davonkommen (so etwa LG Dortmund, Beschluss v. 14.8.2023 − 8 O 5/22 (Kart)).

Dazwischen liegen unterschiedliche Ansichten, die eine teilweise Haftung der Gesellschaftsorgane annehmen, insbesondere mit dem Argument, dass die Geldbuße nach der Wirtschaftskraft des Unternehmens bemessen sei und es der Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber ihrer Geschäftsleitung widerspräche, wenn diese mit der vollen Haftung konfrontiert wäre.

Für den Fall einer Haftung kann das Leitungsorgan grundsätzlich einwenden, dass die Gesellschaft, welche Schadensersatz wegen eines Kartellbußgeldes verlangt, durch den Kartellverstoß Marktvorteile erlangt hat, was den Schaden und damit den Schadensersatzanspruch schmälern würde. Allerdings trägt der Geschäftsführer/Vorstand die Beweislast für das Vorliegen von Kartellvorteilen, und die Beweisführung gestaltet sich aufgrund der Abhängigkeit der Entstehung der Vorteile von vielen Faktoren schwierig (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.7.2023 − VI-6 U 1/22 (Kart) – Edelstahlkartell).

Fazit

Über bürgerlich-rechtliche Streitsachen mit Kartellrechtsbezug - wie den Schadensersatz nach § 33a GWB oder den Rückgriff auf das Leitungsorgan wegen einer Kartellbuße - entscheiden nach § 87 GWB die Landgerichte, über Berufungen hiergegen nach § 91 GWB die Kartellsenate der Oberlandesgerichte (OLG) und schließlich über Revisionen der Kartellsenat des BGH nach § 94 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a GWB. Im Verfahren OLG Düsseldorf, Urteil v. 27.7.2023 − VI-6 U 1/22 (Kart) – Edelstahlkartell hat das OLG die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen, ein Revisionsurteil des BGH ist soweit ersichtlich jedoch nicht ergangen. Eine Klärung durch den BGH bleibt daher abzuwarten.

In jedem Fall sollte sich das Management seiner Legalitätspflicht im Hinblick auf kartellrechtliche Themen stets bewusst sein. Mit der gebotenen Sorgfalt, zu der auch eine frühzeitige und umfassende Rechtsberatung gehören kann, muss es die anwendbaren Rechtsvorschriften beachten. Ein unternehmerisches Ermessen zur Begehung „nützlicher“ Gesetzesverstöße besteht nicht!