Steuerliche Immobilienbewertung auf dem Prüfstand – Berliner Urteil sorgt für Aufsehen

19.08.2024 | FGS Blog

Das Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 24.04.2024 (Az. 3 K 3022/22) entschieden, dass die steuerliche Bewertung von Immobilien in Berlin zum Teil rechtswidrig ist. Grund dafür ist, dass die Berliner Finanzverwaltung bei der Ermittlung von Grundstückswerten für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer sog. Liegenschaftszinssätze (LZS) angewendet hat, die laut Gericht zu unzutreffenden Ergebnissen führen.

Hintergrund: Nebeneinander verschiedener LZS

LZS sind insbesondere im sog. Ertragswertverfahren von Bedeutung, das laut Bewertungsgesetz für die steuerliche Bewertung von Mietwohngrundstücken sowie Geschäftsgrundstücken und gemischt genutzten Grundstücken anzuwenden ist. Im Ertragswertverfahren wirken sich die LZS gleich an zwei Stellen aus, wodurch sie teils erhebliche Hebelwirkung entfalten. Dabei gilt: Je höher der anzuwendende LZS, desto niedriger ist der Grundbesitzwert; ein hoher LZS ist daher für den Steuerpflichtigen günstig. Bei den LZS gibt es ein Nebeneinander von solchen, die der jeweils örtlich zuständige Gutachterausschuss aufgrund der tatsächlichen Kauffälle in der jeweiligen Region ermittelt, und solchen, die das Gesetz pauschal für das gesamte Bundesgebiet vorsieht, wenn für bestimmte Regionen keine gutachterlichen LZS ermittelt worden sind. Insbesondere im ländlichen Raum reichen die Kauf- und Verkaufsfälle oft nicht aus, um daraus regionsspezifische LZS zu ermitteln. Neben diesem zweigleisigen LZS-System (gesetzlich und gutachterlich) besteht in Berlin die Besonderheit, dass der Gutachterausschuss zusätzlich zu den allgemeinen LZS auch solche ermittelt, die speziell für steuerliche Zwecke genutzt werden sollen (insbesondere für Zwecke einer Steuerfestsetzung).

Auswirkungen des Urteils

Das FG Berlin-Brandenburg hält dabei ausgerechnet diese steuerlichen LZS für nicht geeignet, um im Bewertungsverfahren für erbschaft- und schenkungsteuerliche Zwecke angewendet zu werden. Das Gericht ordnete die Anwendung der allgemeinen LZS des Gutachterausschusses an, wodurch sich der steuerliche Wert des Grundstücks um ca. 700.000 € verringerte.

Die Auswirkungen der unterschiedlichen LZS auf den steuerlichen Wert eines Grundstücks zeigen sich anhand des konkreten Urteilsfalls und der Gegenüberstellung von LZS und entsprechendem Grundstückswert:

 

LZS

Wert des Grundstücks

Steuerlicher LZS Berlin

1,08 %

5.929.318 EUR

Allgemeiner LZS Berlin

1,92 %

5.226.422 EUR

Gesetzlicher LZS (2019)

5 %

3.882.660 EUR


Der Kläger erzielte mit dem Urteil also einen Teilerfolg, obgleich der gesetzliche LZS in seinem Fall zu einer noch niedrigeren und damit noch günstigeren Bewertung seines Grundstücks geführt hätte.

Auch wenn das Urteil zunächst nur den Berliner Immobilienmarkt betrifft, wirft schon das Nebeneinander von gesetzlichen und gutachterlichen LZS grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen auf, die das gesamte Bundesgebiet betreffen. Gutachterliche LZS liegen derzeit teils deutlich unter den gesetzlichen. Kann es daher sein, dass Steuerpflichtige, deren Grundstücke in Gebieten liegen, für die der Gutachterausschuss LZS ermitteln hat, durch diese vergleichsweise niedrigen LZS benachteiligt werden? Das FG Berlin-Brandenburg hat die Verfassungsmäßigkeit dieser Dualität bejaht. Der Gesetzgeber dürfe ein solches Nebeneinander von unterschiedlichen LZS anordnen.

Teils willkürliche Ergebnisse bei der Anwendung der LZS

Diese Dualität führt zu augenscheinlich willkürlichen Ergebnissen, wenn in einem örtlich begrenzten Gebiet mangels ausreichender Kauffälle in bestimmten Jahren nur für manche Gebäude gutachterliche LZS fehlen. Der Gutachterausschuss für Grundstückswerte Hameln-Hannover bspw. hat im Jahr 2023 LZS für Büro- und Verwaltungsgebäude im Peripheriebereich zur Innenstadt mit guter Verkehrslage ermittelt, mangels ausreichender Kauffälle jedoch nicht für solche, die sich in der Innenstadt befinden. Für Büro- und Verwaltungsgebäude in der Innenstadt wäre dann der gesetzliche LZS in Höhe von 6 % anwendbar, der im konkreten Fall um 2,4 % höher (und damit günstiger) ist als derjenige für die gleiche Gebäudeart im Peripheriebereich. Aufgrund der besonderen Hebelwirkung der LZS kann ein Zinsunterschied von 2,4 % häufig zu Wertunterschieden von mehr als 30 % führen. Im Jahr 2024 lagen wieder genügend Kauffälle vor, um für beide Bereiche gutachterliche LZS zu ermitteln.

Je nach Stichtag der Bewertung, spezifischer Eigenschaften des Grundstücks und innerstädtischer Lage können somit erhebliche Unterschiede im steuerlichen Wert auftreten, obwohl die Nähe der Fälle zueinander offenkundig ist. Nicht nur für den Berliner Raum stellt sich daher auch für künftige Schenkungs- und Erbschaftsfälle die Frage, welche LZS bei der Bewertung von Immobilien anzuwenden sind. Das FG Berlin-Brandenburg hat mit seinem Urteil nicht nur die Dualität verschiedener LZS in den Fokus gerückt, sondern zugleich auch die Revision zugelassen, sodass sich voraussichtlich auch der Bundesfinanzhof mit der verfassungsrechtlichen Frage auseinandersetzen wird, ob hier noch von der „Gleichmäßigkeit der Besteuerung“ gesprochen werden kann.

Ausblick          

Bis zur Rechtskraft des Urteils des FG Berlin-Brandenburg sollten betroffene Grundstückseigentümer, bei denen steuerliche und allgemeine LZS ebenfalls zu unterschiedlichen Grundbesitzwerten führen, überprüfen lassen, ob gegen die jeweiligen Feststellungsbescheide im Wege des Einspruchsverfahrens vorgegangen und das Verfahren bis zur Entscheidung durch den BFH offengehalten werden sollte.

Das BewG wurde mit Wirkung zum 01.01.2023 an einigen Stellen geändert und mehr an die sog. Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) angepasst. Wie sich dieser Umstand auf die Ermittlung künftiger LZS durch den Gutachterausschuss auswirkt und wie sich die Berliner Finanzverwaltung hierzu positionieren wird, ist derzeit noch unklar. Auffallend ist jedoch, dass Stand heute noch keine LZS 2023 (weder allgemeine noch steuerliche) vom Berliner Gutachterausschuss veröffentlich wurden; dies geschieht in der Regel schon in der ersten Jahreshälfte.