Auch >50%-Fälle des § 8c Satz 2 KStG verfassungswidrig?

20.11.2017

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat § 8c Satz 1 Körperschaftssteuergesetz zum anteiligen Entfall von Verlustvorträgen bei Anteilseignerwechseln ab 25% bis 50% für den Zeitraum 2008 bis 2015 für mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt (2 BvL 6/11, vgl. Blogbeitrag vom 15. Juni 2017). Das Finanzgericht Hamburg hält nun auch die zweite Hälfte der Norm, § 8c Satz 2 KStG zu Anteilseignerwechseln über 50%, für verfassungswidrig (2 K 245/17 ). In der am 18. Oktober 2018 veröffentlichten Entscheidung begründet das Finanzgericht  dies – in enger Anlehnung an die BVerfG-Entscheidung zu § 8c Satz 1 KStG – mit der ungerechtfertigten Verletzung des Trennungsprinzips und somit dem Verstoß gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.

 

Vor dem Hintergrund des Vorlagebeschlusses stellen sich aktuell drei Fragen:

  • Welche Reichweite hat der Vorlagebeschluss?
  • Was ist für Steuerpflichtige jetzt zu tun?
  • Was werden BVerfG und Gesetzgeber voraussichtlich daraus machen?

Reichweite des Vorlagebeschlusses

Der Vorlagebeschluss behandelt den im Streitjahr 2008 geltenden § 8c Satz 2 KStG, stellt jedoch klar, dass dieser mit dem ab Mitte 2008 geltenden § 8c Abs. 1 S. 2 KStG identisch ist. In Anlehnung an den BVerfG-Beschluss zu § 8c Satz 1 KStG kann zeitlich von einer Reichweite von 2008 bis einschließlich 2015 ausgegangen werden. Inhaltlich liegt dem Vorlagebeschluss ein Fall zugrunde, in dem der frisch eingeführte § 8c Satz 2 KStG in 2008 zum vollständigen Entfall des Verlustvortrags führte. Die erst später eingeführten Rückausnahmen Konzernklausel, Stille-Reserven-Klausel und die (ausgesetzte) Sanierungsklausel waren nicht zu betrachten. Da das BVerfG diesen Klauseln in seiner Entscheidung zu § 8c Satz 1 KStG keine Bedeutung beigemessen hat, ist auch hier keine Beschränkung der Reichweite zu erwarten.

 

In der verfassungsrechtlichen Beurteilung orientiert sich das FG Hamburg nicht nur am BVerfG-Beschluss zu § 8c Satz 1 KStG. Sondern es übernimmt dessen Text seitenweise unverändert. Für den Verstoß gegen das Trennungsprinzip und damit gegen das aus dem Gleichheitssatz des Artikel 3 Grundgesetz abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sieht das FG Hamburg also keinen Unterschied, ob nur ein Anteilseignerwechsel von 25 bis 50% oder ein Anteilseignerwechsel über 50% vorliegt.

Handlungsempfehlung für Steuerpflichtige

Unternehmen, deren Verlustvortrag bei einem Anteilseignerwechsel von mehr als 50% wegen § 8c Satz 2 KStG entfallen ist, sollten ihre Bescheide auf jeden Fall offenhalten. Nur solange keine Bestandskraft eintritt, ist der Anspruch gesichert, von der abzusehenden rückwirkenden Neuregelung des § 8c Satz 2 KStG zu profitieren. Zur Sicherheit sollten betroffene Unternehmen ihre sachverhaltsrelevanten Dokumente aufbewahren um nötigenfalls belegen zu können, dass sich der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb seit dem maßgeblichen Anteilseignerwechsel nicht wesentlich geändert hat. Dies würde wichtig, falls der Gesetzgeber § 8c Satz 2 KStG rückwirkend in Anlehnung an den früheren § 8 Absatz 4 KStG reformiert.

Mögliche Reaktionen des BVerfG und des Gesetzgebers

Es ist zu hoffen, dass das BVerfG seine Entscheidung relativ zügig fällt. Zu § 8c Satz 1 KStG reagierte es erst nach sechs Jahren auf die Vorlage. Nun jedoch besteht erstens eine starke inhaltliche Nähe zu dieser Entscheidung und zweitens die auf das BVerfG zurückgehende Auflage § 8c Satz 1 KStG rückwirkend bis Ende 2018 zu reformieren. Bei einer Entscheidung bis Mitte 2018 bestünde die Chance zur Reform des § 8c KStG in einem Zug.

 

Inhaltlich spricht Vieles dafür, dass sich das BVerfG der Vorlage des FG Hamburg im Wesentlichen anschließen und § 8c Satz 2 KStG als mit der Verfassung unvereinbar erklären wird. Schließlich wird, genau wie bei § 8c Satz 1 KStG, typisierend von der Gesellschafter- auf die Unternehmensebene geschlossen und so das Trennungsprinzip evident verletzt. Zur Lage ab 2016 wird das BVerfG vermutlich keinen Beschluss fassen, sondern die Rechtslage seit Bestehen des § 8d KStG auf Basis einer weiteren Vorlage neu beurteilen wollen.

 

Die Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers auf eine BVerfG-Entscheidung nach dem oben skizzierten Muster sind vielfältig. Als naheliegende (Minimal-)Lösung könnte er Unternehmen mit noch offenem Verfahren zumindest die Möglichkeit einräumen, die Typisierung zu widerlegen, d.h. den Fortbestand ihrer wirtschaftlichen Identität nach dem Anteilseignerwechsel zu belegen. Für den Zeitraum 2008 bis 2015 ist dieser Ansatz wahrscheinlich, da eine radikale Reform mit Verlierern dort wegen des Rückwirkungsverbots ausscheidet. Ab 2016, bzw. realistischerweise erst ab 2019, hat der Gesetzgeber freie Hand. Denkbar wäre in diesem Rahmen, dass der Wechsel der Mehrheit der Stimmrechte nur noch als Auslöser für die Prüfung dient, ob der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb fortbesteht.

 

In jedem Fall müsste die Norm auf ihren ursprünglichen Sinn und Zweck reduziert werden, nämlich die Vermeidung echter Missbräuche. Die Verlustnutzung darf nur versagt werden, wenn sie allein der maßgebliche Treiber für einen Anteilseignerwechsel war. Falls diese Königslösung nicht sauber gelingt, wagt der Gesetzgeber möglicherweise einen Systemwechsel: Ein Verzicht auf § 8c KStG im Tausch gegen eine ausreichend dimensionierte zeitliche Beschränkung der Verlustnutzung ohne Mindestbesteuerung wäre zumindest einen Gedanken wert.

 

Ausführliche Betrachtungen des Autors zum Thema finden sich in Der Betrieb 2017, S. 2629-2634.