Der Regierungsentwurf zum Wachstumschancengesetz sieht die gesetzliche Normierung eines internationalen Risikobewertungsverfahrens in einem neuen § 89b AO-E vor. Dieses Verfahren ist auf Kooperation und Transparenz ausgelegt, wonach die Finanzverwaltungen zweier oder mehrerer Staaten auf Antrag des Steuerpflichtigen eine Einschätzung zu etwaigen Risiken von Steuerausfällen für bereits verwirklichte Sachverhalte abgeben sollen. Sofern dieses Risiko als gering eingeschätzt wird, kann von einer Prüfung des Sachverhalts im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung abgesehen werden.

Internationaler Hintergrund

Mit der geplanten Normierung eines internationalen Risikobewertungsverfahrens möchte der deutsche Gesetzgeber eine Grundlage für das International Compliance Assurance Programme (ICAP)
der OECD oder den European Trust and Cooperation Approach (ETACA) der EU schaffen, beides Programme zur Bewertung von Besteuerungsrisiken und Erhöhung von Planungssicherheit in Besteuerungsfragen. Zwar beteiligt sich die deutsche Finanzverwaltung auch bisher an diesen Verfahren. Gleichwohl stützen sich diese lediglich auf die allgemeinen Regelungen der AO sowie denen zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen.

Die nunmehr vorgesehene Regelung in § 89b AO-E soll zum Ausdruck bringen, dass solche internationalen Risikobewertungsverfahren mit deutscher Beteiligung möglich sind sowie Rechtsklarheit und -sicherheit für die Beteiligten schaffen.

Zugang zum Verfahren

Das Risikobewertungsverfahren soll auf schriftlichen oder elektronischen Antrag des Steuerpflichtigen bei dem zuständigen Finanzamt oder auf Anregung eines anderen Staates durchgeführt werden. Antragsbefugt sind inländische Konzernobergesellschaften i.S.d. Country-by-Country-Reportings (CbCR) sowie inländische Konzerneinheiten, soweit eine dieser Konzerneinheiten den Umsatzschwellenwert für die Erstellung eines Master File i.S.d. § 90 Abs. 3 AO i.H.v. 100 Mio. EUR überschreitet.

Bereits im Zeitpunkt der Antragstellung hat der Steuerpflichtige alle für die Prüfung erforderlichen Unterlagen beizubringen sowie zuzusichern, dass er seinen Mitwirkungspflichten an diesem Verfahren vollumfänglich nachkommen wird.

Der Regierungsentwurf regelt verschiedene Ausschlussgründe, wann dem antragberechtigten Steuerpflichtigen der Zugang zum Verfahren versagt werden soll. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Steuerpflichtige aus den Erfahrungen der letzten fünf Jahre – z.B. im Rahmen der Betriebsprüfung – als nicht kooperativ eingeschätzt wird. Eine fehlende Kooperation wird z.B. dann unterstellt, wenn Steuererklärungen, CbCRs oder Master Files nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben wurden.

Die Entscheidung, ob ein internationales Risikobewertungsverfahrens erfolgen kann und eingeleitet wird, soll das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) im Einvernehmen mit dem zuständigen Landesfinanzministerium treffen.

Ablauf des Verfahrens

Nach dem Regierungsentwurf soll das Risikobewertungsverfahren als ein freiwilliges Verfahren ausgestaltet werden, das Elemente der Außenprüfung und des zwischenstaatlichen Auskunftsaustauschs enthält. Das BZSt koordiniert das Verfahren und führt die zwischenstaatliche Amtshilfe durch. Die Risikobewertung erfolgt durch die örtlich zuständige Finanzbehörde unter Mitwirkung und im Einvernehmen mit BZSt. Ferner soll eine Abstimmung mit den zuständigen Finanzbehörden der teilnehmenden ausländischen Staaten stattfinden. Diese haben sich in dem Prozess des Verfahrens auszutauschen und sollen sich bemühen, zu einer einheitlichen Einschätzung zu kommen, ob die untersuchten Sachverhalte ein geringes oder nicht geringes Risiko beinhalten oder eine Einschätzung nicht möglich ist. Ein einheitliches Votum soll allerdings nicht erforderlich sein. Es ist daher möglich, dass die Behörden der teilnehmenden Staaten zu unterschiedlichen Einschätzungen gelangen.

Die Einschätzung der steuerlichen Risiken der Finanzbehörden erfolgt unter Beachtung

  • des Umfangs und der Plausibilität der vorgelegten Unterlagen und Informationen,
  • der zu erwartenden steuerlichen Auswirkungen der verfahrensgegenständlichen Sachverhalte und
  • des zu erwartenden zeitlichen und personellen Aufwands einer vertieften Sachverhaltsprüfung.

Ziel einer Risikobewertung ist es, durch zielgerichtetes und strukturiertes Vorgehen zu einer Bewertung eines möglichen Risikos zu kommen. Eine detaillierte Prüfung ist dabei i.d.R. nicht vorgesehen.

Mögliche Verfahrensergebnisse

Das Verfahren soll durch Übersendung des Risikobewertungsberichts beendet werden, in dem u.a. die bewerten Sachverhalte beschrieben und steuerliche Risiken der bewerteten Sachverhalte eingeschätzt werden. Hierin ist das Votum der inländischen Finanzverwaltung aufzunehmen. Ein zusammengefasster Bericht, in dem die Bewertungen auch der ausländischen beteiligten Behörden wiedergegeben werden, ist möglich, aber nicht zwingend.

Im Übrigen soll es beendet werden, wenn der Steuerpflichtige vom Verfahren zurücktritt oder die Finanzbehörde das Verfahren beendet, z.B. weil eine Einigkeit über das weitere Vorgehen im Verfahren nicht mehr zu erwarten ist.

Bindungswirkung für nachfolgende Betriebsprüfungen

Ergibt das internationale Risikobewertungsverfahren, dass das steuerliche Risiko der untersuchten Sachverhalte gering ist, kann die Finanzverwaltung bei einer Betriebsprüfung insoweit auf die Ermittlung der Verhältnisse des Steuerpflichtigen verzichten.

In dem ebenfalls neu einzuführenden § 194 Abs. 1a AO-E wird zusätzlich normiert, dass das Ergebnis des Risikobewertungsverfahrens bei der Bestimmung des Umfangs der Außenprüfung berücksichtigt werden soll.

Beratungshinweise

Für den Steuerpflichtigen bedeutet die geplante Normierung internationaler Risikobewertungsverfahren mehr Rechtssicherheit. Angesicht der umfangreichen Mitwirkungspflichten bei weitgehender Unverbindlichkeit der Verfahrensergebnisse sollte die Vorteilhaftigkeit eines solchen Verfahrens stets im Einzelfall abgewogen werden.

 

Der Referentenentwurf zum Wachstumschancengesetz enthält eine Vielzahl steuerlicher Maßnahmen für Unternehmen. Die folgenden Maßnahmen werden in dieser Blog-Reihe tiefergehend betrachtet: